Ein schmaler Innenhof, zwei Etagen, bunte Kacheln, Holztüren, intime Stille. Jemand hat die Topfpflanzen, die in der Mitte des offenen Atriums stehen, eben erst gegossen, Kühle steigt vom gefliesten Hofboden auf. Auf der zweiten Etage klickt eine Tür, Nachbarn unterhalten sich. Etwa 45 Familien, über 100 Personen, lebten im vergangenen Jahrhundert in diesem corral de vecinos, einem Nachbarschaftshaus. Bis in die 1960er Jahre war das ein charakteristisches Wohnhaus in Triana, populärer östlicher Bezirk von Sevilla. Nach meinen Tagen in Palästen, prunkvollen Kirchen und Museen der Altstadt von Sevilla, suche ich in diesem Hof so etwas wie die Keimzelle des besonderen Charakters dieses legendären Viertels.
Triana, einstiger Arbeiterbezirk der andalusischen Hauptstadt, für den Andalusienkenner klingt der Name nach berühmten Stierkämpfern, nach Seefahrt und vor allem nach Flamenco. In den corrales de vecinos erwuchs im 19. Jahrhundert aus der Intimität der offenen Türen, den gemeinsamen Wasch- und Kochmöglichkeiten, aus der lauten Lebendigkeit und den Familienfesten die Volkskunst des Flamenco und verbreitete sich in den zahlreichen cafés cantantes im ganzen Land.
Seefahrt und Handel – der Guadalquivir
Die Pulsader des Alltags in Triana aber war immer der Guadalquivir, der Fluss, der den Stadtteil vom prachtvollen Zentrum und Regierungssitz, trennt. Im 16. und 17. Jahrhundert studierten an seinem östlichen Ufer die Seefahrer in Vorbereitung auf ihre Segelreise in die neue Welt. Als ich aus der Altstadt die berühmte Puente Triana (eigentlich Puente de Isabel II) überquere, leuchten mich im Morgenlicht bunte Häuserfassaden an. Gleich rechts der Brücke Menschengewimmel, hier liegt die Markthalle von Triana. Frisches Gemüse, Süßes und Obst, Verkäufer, die so typisch andalusisch beim Sprechen ihr S verschlucken, jamon ibérico hängt an den Wänden, zahllose Fischsorten und Oliven, ältere Damen und Herren, Familien vor den überladenen Marktständen. Ganz bewusst bin ich genau hier und nicht im Feinschmeckermarkt von Lonja del Barranco, eine imposante Eisenhalle von Gustav Eiffel ursprünglich als Fischmarkt entworfen, wo man jetzt Austern essen und dazu Cava trinken könnte. Im Mercado de Triana fühlt sich alles unaufdringlich und alltäglich an. Ich entscheide mich für ein Frühstück in einer kleinen Bar. Vielleicht komme ich ins Gespräch mit ein paar Leuten des Viertels.
Töpferkunst von Triana
Nur einige Meter hinter der Markthalle zieht mich ein ungewöhnliches Gebäude an. Es ist das Museum Centro Cerámica Triana und steht an der Stelle der ältesten Töpferfabrik Santa Ana. Seit Jahrhunderten nutzen die Menschen des Viertels den Lehm des Flussufers, um zu töpfern. Die Hochöfen, in denen das Tongut gebrannt wurde, sind noch Originale der Fabrik. Nur ein Stück weiter auf der Calle Antillano Campos blinken mich farbige Fliesen und Teller der nächsten Keramikwerkstatt an. Dann verliere ich mich weiter in den Straßen: Kopfsteinpflaster, Tapasbars, die belebte Uferpromenade. Die Altstadt gegenüber scheint weit weg, Triana ist ein eigener Kosmos.
Ich stehe in der Calle Pagés del Corro. Mein Marktfrühstück unter Einheimischen war erfolgreich. Diese Adresse hat man mir gegeben als ich von meiner Suche nach den soziologischen, architektonischen Keimzellen des Viertels sprach. In ganz Triana existieren nur noch wenige corrales de vecinos. Hier im stillen Innenhof klacken langsame Schritte eines älteren Ehepaares auf den Keramikstufen. Was ich abends machen werde, ist mir da plötzlich klar: dem Schritteklappern von Trianas Flamencokünstlern lauschen, ihren Soleás und Seguiriyas.
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